Hugo von Hofmannsthal - Ein Brief
Ein Brief an Lord Chandos / Brief des Lord Chandos an Sir Francis Bacon
- Typ:
- Unterrichtseinheit
- Umfang:
- 31 Seiten (0,3 MB)
- Verlag:
- Mediengruppe Oberfranken
- Auflage:
- (2013)
- Fächer:
- Deutsch
- Klassen:
- 11-13
- Schulform:
- Gymnasium
„Du hast ja keine Ahnung, was geschieht, wenn diese Sprache einmal Alles von dir fordert und bis auf den scheinbarsten Huscher fast gänzlich wegfällt. Du weißt ja nicht, was wirkliche Einsamkeit ist, bevor du nicht dies äußerst geringfügige Rascheln nur noch, irgendwo am Rande deines Geistes, vernommen haben wirst. Du hast ja keine Ahnung, wie du dann wohl sitzen und kauern mußt, wenn erst die Worte unter sich, du aber ausgeschlossen und erkenntnislos.“ (aus: Botho Strauß, „Paare, Passanten“)
Dem Gefühl des Sprachverlusts, das Botho Strauß hier in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts beschreibt, ist Anfang desselben Jahrhunderts schon einmal Ausdruck verliehen worden: Im Jahre 1902 veröffentlichte der damals 28-jährige Hugo von Hofmannsthal den Text, der schon den Zeitgenossen als Manifest einer aufkommenden Sprachskepsis galt, die, wie man bei Botho Strauß leicht sieht, anhalten sollte. Hofmannsthals Ein Brief, auch Chandos-Brief genannt, wurde zum Gründungsdokument der literarischen Moderne, weil sich in ihm ein Epochengefühl spiegelt.
Lord Chandos, der fiktive Verfasser des auf den 22. August 1603 datierten Briefes, schreibt dem englischen Philosophen Francis Bacon, um diesem zu erklären, warum er nicht mehr literarisch tätig sein könne. Chandos schildert, wie sich ihm die Sprache unaufhaltsam entziehe, weil er deren Bezug zur Welt nicht mehr fassen könne. Genau diesem Zustand des Lord Chandos entspricht die Krise der Moderne, für die die Beschaffenheit von Ich und Welt nicht mehr klar und deutlich einsehbar ist und die das Vertrauen in die Sprache verloren hat.
Der Chandos-Brief lässt sich einreihen in die erkenntniskritische Richtung der Sprachkritik, die nach der Wahrheitsfähigkeit der Sprache fragt. Sie ist in der Zeit um 1900 weit verbreitet. Die Aufklärung hatte in der Sprache pragmatisch ein System zur Benennung von Gegenständen und Sachverhalten und als solches ein Mittel zur Welterfassung gesehen. Doch was sich bereits in der Romantik mit ihrer Kritik an der Herrschaft des begrif? ich-systematischen Denkens angedeutet hatte, entwickelte sich nun, um 1900, zu einem massiven Zweifel am generellen Wahrheitsgehalt des durch die Sprache Vermittelten.
Ein Wegbereiter dieser Dekonstruktion idealistischer Sprachauffassung ist im 19. Jahrhundert Friedrich Nietzsche mit seiner Schrift „Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne“. Nietzsche hinterfragt das menschliche Erkenntnisvermögen auf grundlegende Art und Weise, indem er zu beweisen sucht, dass die Sprache einem „Wolkenkuckucksheim“ entspringe und Wahrheit nur ein „bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen“ sei, der Mensch aber die Perspek-tivgebundenheit und Willkür seines Maßstabes, den er mit der Sprache der Welt auferlege, nur allzu schnell vergesse.
Diese Sicht auf die Sprache berührt die philosophische Grundfrage nach den Voraussetzungen von Erkenntnis, die gerade in unserem wissenschaftlich-technischen Zeitalter weiter gestellt werden sollte. Der vorliegende Beitrag versucht, Schülerinnen und Schülern diese Frage nahezubringen, dabei jedoch Zugänge zu finden, die Sprachverzicht und Sprachnot auch in leicht fassbaren Zusammenhängen präsentieren.
Kompetenzen und Unterrichtsinhalte:
- Die Schülerinnen und Schüler lernen mit Hugo von Hofmannsthals Ein Brief einen wichtigen Text der literarischen Moderne kennen.
* Sie setzen sich mit der darin formulierten Sprachskepsis auseinander, stellen sie in den größeren Zusammenhang der Erkenntniskrise um 1900, ergründen aber auch die heutige Relevanz des Themas.
* Sie analysieren pragmatische, literarische und philosophische Texte.
* Sie beschäftigen sich mit heutigen Antworten auf Hofmannsthals Text.
* Sie klären die Bedeutung, die Hofmannsthals Text für sie selbst hat.
Die einzelnen Unterrichtsschritte im Überblick:
- 1. Schritt: Wozu Worte?
- 2. Schritt: Eine Selbstdiagnose: Hugo von Hofmannsthals „Ein Brief“
- 3. Schritt: Sprach- und Erkenntniskrise um 1900
- 4. Schritt: Hundert Jahre danach – „Lieber Lord Chandos“