Peter Stamm - Agnes
Gegenwartsliteratur im Deutschunterricht der Oberstufe Arbeitsmaterialien
- Typ:
- Unterrichtseinheit
- Umfang:
- 56 Seiten (0,5 MB)
- Verlag:
- Mediengruppe Oberfranken
- Auflage:
- (2012)
- Fächer:
- Deutsch
- Klassen:
- 11-13
- Schulform:
- Gymnasium
Eine Unterrichtseinheit über einen Roman muss immer Prioritäten setzen, selbst wenn es, wie hier, um ein relativ schmales Werk geht. So ist z.B. die Auseinandersetzung mit dem Agnes-Motiv ausgespart. Peter Stamm bezieht sich nicht nur im Titel, sondern auch im Text selbst mehrmals auf die heilige Jungfrau Agnes, deren Keuschheit keine Gewalt und kein Feuer erschüttern, aber auch keine Verführung erreichen kann. Ebenso noch nicht behandelt ist auch der Vergleich mit dem „Homo Faber“ von Max Frisch, an dessen Motive sich Peter Stamm mehrfach deutlich anlehnt, und seine Frage nach Identität. Dieser Vergleich soll, zusammen mit anderen intertextuellen Bezügen, Gegenstand einer eigenen Einheit werden.
Der Roman erzählt ohne Pathos, sachlich, einfach, aber durchaus empathisch von den großen Themen Liebe und Tod. Eine im Grunde romantische Liebesbeziehung zwischen ungleichen Partnern scheitert an zeittypischen Problemen: an der geringen Bereitschaft, sich auf die Sichtweisen des anderen einzustellen, an der Unvereinbarkeit männlicher und weiblicher Lebensentwürfe, an der Unfähigkeit, zu eigenen Wünschen und Gefühlen zu stehen, wenn sie nicht den Erwartungen der Umwelt entsprechen, an Bindungs- und Verantwortungsscheu, an der (metaphorisch durchgehend herrschenden) Kälte des umgebenden sozialen Milieus und, ganz konkret: an einer ungewollten Schwangerschaft.
Auffällig präsent ist aber auch der Tod in dieser Erzählung. Sie beginnt mit dem ernüchternden Satz „Agnes ist tot“ – und endet mit ihrem Verschwinden, das einen Selbstmord nahelegt, wenn auch nicht definitiv behauptet. Der Roman reiht sich damit ein in eine ganze Reihe von Werken, die Liebessehnsucht und Beziehungsunfähigkeit der Generation Jugendlicher und junger Erwachsener (auf relativ pessimistische Weise) betrachten. Thematik und Erzählweise sind damit stark auf eine junge Leserschaft ausgerichtet, die sich vor dieselben Fragen gestellt sieht.
Einen weiteren Schwerpunkt bildet ein permanentes, im Grunde ungewöhnliches Spiel mit Realität und literarischer Fiktion. Als Schriftsteller „doppelt“ der Ich-Erzähler seine Rolle. Er erzählt eine Geschichte – und in dieser Geschichte wiederum (und anders) dieselbe Geschichte. Für den Unterricht ist diese (zugegeben: etwas inszenierte) Konstruktion ein Glücksfall: Die Bedingungen und Komponenten literarischer Produktion, normalerweise hinter den Strukturen des Werkes verborgen und nur schwer zu erschließen, werden hier offengelegt und damit der Reflixion und Kritik zugänglich.
Ähnliches gilt für das Netz der Bilder, Motive und Metaphern. Sie sind sehr dicht, ihre Beziehungen und Wechselwirkungen sind konsequent durchkomponiert, aber sie sind auch so traditionell und durchschaubar, dass sie ungeübte Leser nicht überfordern – eine „Spielwiese für Interpretationsfreudi-ge“, wie es in einer Rezension hieß.
Kompetenzen und Unterrichtsinhalte:
- Die Schüler lernen mit Peter Stamms Agnes einen aktuellen Roman kennen
- Sie erschließen das Figurentableau, vor allem die beiden Hauptfiguren, um deren Beziehung sich die Romanhandlung entwickelt, sowie die Raum- und Zeitgestaltung des Romans. Sie rufen sich damit die Grundkomponenten der Interpretation epischer Texte in Erinnerung und wenden sie auf den Text an
- Sie erkennen in der Problematik von Partnerbeziehungen unter aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen das zentrale und relevante Thema des Romans
- Sie analysieren das dichte Netz der (Leit-)Motive, Bilder und Metaphern, die den Roman durchziehen und dessen Interpretation lenken, vor allem den metaphorischen Sinngehalt von Wärme und Kälte, Licht und Dunkelheit in den Bildern des Romans
- Sie erkennen in der Verwendung bzw. im Zitat bekannter Kunstwerke eine gezielte erzählerische Technik und eine besondere Form der Intertextualität
- Sie problematisieren die besondere Rolle der Erzählerinstanz. Sie erkennen im Erzähler eine bewusst in seinen Erkenntnismöglichkeiten beschränkte Figur, die darauf angelegt ist, den Leser zu Stellungnahme und Korrektur zu provozieren
- Sie setzen sich kritisch mit dem Verhältnis von Literatur und Wirklichkeit auseinander
- Sie üben sich in gestaltenden Techniken der Interpretation epischer Texte.
Die einzelnen Unterrichtsschritte im Überblick:
- 1. Schritt: Drei Tage im April – die Entfaltung einer Romanhandlung
- 2. Schritt: Beziehungssehnsucht – Bindungsangst
- 3. Schritt: Wärme und Kälte – Nähe und Distanz – Leben und Tod
- 4. Schritt: Botschaften über Bilder
- 5. Schritt: Literatur und Wirklichkeit – die Geschichte in der Geschichte