Geschichte: Das Lehnswesen
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Nr. 5/6 2024
- Typ:
- Fachzeitschrift
- Umfang:
- 116 Seiten (5,3 MB)
- Verlag:
- Friedrich Verlag
- Auflage:
- 1 (2024)
- Fächer:
- Geschichte
- Klassen:
- 9-13
- Schulform:
- Gymnasium
Wir kennen sie alle – die „Lehnspyramide“. Und noch immer fehlt sie in kaum einem Schulbuch. Gleichzeitig aber wissen wir auch, dass dieses Modell mittelalterlicher Ordnung – und Herrschaft – seit langem umstritten ist. Ja, es fehlt nicht an Historikerinnen und Historikern, die es mehr oder weniger verabschieden wollen. Das vorliegende Themenheft versucht vor diesem Hintergrund, Forschungsperspektiven zu eröffnen – und fragt dabei nicht zuletzt auch, wie das „Lehnswesen“ künftig an Schulen und Universitäten angemessen vermittelt werden kann.
Am Anfang skizziert Oliver Auge den Forschungsstand und plädiert dabei zugleich für eine „offene“ Definition, die es erlaubt, die dynamische und komplexe Vielfalt lehnsrechtlicher Praktiken zeitlich wie räumlich zu integrieren. Auge geht davon aus, dass eine solche Bestimmung in den Schulen (und wohl auch an den Universitäten) erhebliche Vermittlungsprobleme aufwirft, weil sie mit der Ablösung der etablierten Lehnspyramide durch verlaufsorientierte Modelle von hoher Flexibilität einhergeht. Probleme, die aber, so Auge optimistisch, mithilfe der fortschreitenden Digitalisierung des Unterrichts zu lösen seien.
Simon Groth skizziert im Anschluss daran die Umrisse einer Begriffsgeschichte des Lehnswesens, die auch deshalb ein dringendes Forschungsdesiderat darstelle, weil die deutsche Mediävistik seit dem 19. Jahrhundert das Lehnswesen als metatheoretische Ordnungsmetapher verstanden und verwendet habe. Gleichzeitig fordert Groth, dass auch der Begriff „Feudalismus“ in eine Begriffsgeschichte des Lehnswesens einbezogen werden müsse, weil beide Begriffe eine lange wechselseitige wissenschaftsgeschichtliche Vergangenheit erkennen lassen. Hinzu komme, dass eine historische Semantik des Lehnswesens dazu beitragen könne, die „Konstruktivität der Geschichte“ im Schulunterricht zu thematisieren. Thomas Martin Buck knüpft daran an, indem er am Beispiel der Lehnswesen-Debatten über die Zeitlichkeit historischer Ordnungsmodelle nachdenkt und die Eigenlogiken wissenschaftlichen Fortschritts in Erinnerung ruft – und dabei immer auch das Klassenzimmer im Blick hat: Die Kontroverse um die Existenz bzw. Nicht-Existenz des Lehnswesens könne im Unterricht dazu dienen, ganz grundsätzlich nach der spezifischen Epistemologie und Methodologie von Wissenschaft zu fragen. Wissenschaft, so Buck, müsse immer wieder produktiv verunsichert werden, wenn nicht „Schiffbruch“ erleiden, um Wissenschaft zu bleiben, was die Auseinandersetzung mit dem Lehnswesen paradigmatisch vor Augen führe – und für den Geschichtsunterricht in besonderem Maße geeignet erscheinen lasse.
Auch Frederic Zangel geht es in erster Linie um die didaktische Vermittlung mittelalterlicher Herrschaftsordnungen, wenn er mit Dänemark einen Raum untersucht, für den traditionell die Existenz eines Lehenswesens verneint wurde. Zangel kann zeigen, dass die dänischen Praktiken von Landleihe und Gefolgschaft – und deren Verknüpfung – eine fluide Kultur des Mit- und Nebeneinanders von Lehens-, Pfand- und Verwaltungselementen erkennen lassen, die kaum statisch bzw. dichotomisch zu beschreiben ist.
Abschließend fasst Jürgen Dendorfer die Beiträge des Themenhefts pointierend zusammen. Im Mittelpunkt steht dabei die Warnung, aus der „Konkursmasse“ des Lehnswesens ein methodisch-theoretisches Modell zu entwickeln, das in neuer Deutungs-mächtigkeit die alten Engführungen und Pfadabhängigkeiten wiederholt. Vielmehr gelte es, vor allem die vermeinten Bindungen, die das Lehnswesen konstituierte, noch einmal quellennah und ergebnisoffen zu diskutieren. Eine Forderung, so ließe sich hinzufügen, die mittelfristig auch dazu beitragen könnte, die Vermittlung des Lehnswesens nach dem Lehnswesen in den Schulen und an den Universitäten neu zu denken.
Inhaltsverzeichnis:
- Von scheinbar ausgeforschter Statik zu faktischer Fragilität? Perspektiven auf das Lehnswesen als komplexen Untersuchungsgegenstand
- Das Lehnswesen ist positiv gewendeter Feudalismus: Über den Charakter einer Ordnungsmetapher
- The Middle Ages without Feudalism? Zum epistemologischen und methodologischen Potential historischer Kontroversen im Geschichtsunterricht
- Zwischen quellenbedingter Unschärfe und didaktisch notwendiger Trennschärfe: Eine Annäherung an das Lehnswesen über das Beispiel Dänemark (mit Südjütland/Schleswig)
- Das Lehnswesen und kein Ende? – Fragile Fakten als Ergebnis fragiler Konzepte: Zusammenfassung und Kommentar
- Bauernhof, Bildung und BaföG: Ein auch persönlicher Kommentar zu Ewald Fries Beschreibung des stillen Abschieds von der bäuerlichen Lebensform in Westfalen
- Feudalismus einfach erklärt: Videoangebote über Feudalismus und Lehnswesen
- Geschichtsdidaktik